DIEFANTASTISCHENVIER

Von den ganz Großen des Showbiz lernen, heißt leiden lernen. Die Fantastischen Vier, diese verdammt populären Poeten der Moderne, die aus einer Zeit stammen, als HipHop noch Anarchie war, haben gelitten. Zwölf lange Jahre hockten und froren sie im feuchten, dunklen Environment der Balver Höhle. Es war keine schöne Zeit, aber Künstler nutzen bekanntlich unschöne Phasen, um aus ihnen neu Kräfte und Energien zu schöpfen. Das Verlangen nach dem Melken ihrer empfindlichen Künstlerseelen wuchs bei unseren vier Helden in den zwölf Jahren zwischen 2000 und 2012 derart ins Unermessliche, dass das Resultat, gemessen an seinem Ereignisreichtum vollkommen unprätentiös „UNPLUGGED II.“ heißt.

Zur Erinnerung: im Jahr 2000 spielten Die Fantastischen Vier als erster deutscher Act überhaupt auf Einladung von MTV ein längst schon legendäres „UNPLUGGED“-Konzert in der Balver Kalksteinhöhle im Sauerland. Mit filigraner Feinstofflichkeit wuchsen Michi Beck, Thomas D, And.Ypsilon und Smudo über sich hinaus. Ein Riesenaufschlag war das Konzert damals in Ton und Bild, Mehrfachgold und der Ritterschlag als ernst zu nehmende Band folgten. Selbst Nörgler verbeugten sich wegen der gezogenen Stecker vor dem, was bis dahin vermeintlich jeder konnte - rappen und Musik aus Samplern und Computern destillieren. Und jetzt? Déjà-vu respektive Déjà-Vier? Natürlich nicht. Die Fantastischen Vier sind Pioniere geblieben. Nicht nur, weil es keinerlei Song-Überschneidungen zum ersten „UNPLUGGED“ gibt, sondern vor allem auch, weil sie weltweit die allererste Band sind, denen die Ehre zuteil geworden ist, von MTV nach einem „UNPLUGGED II.“ gefragt worden zu sein und dies auch zu veröffentlichen. Dafür gibt es gute Gründe.

Fassen wir kurz zusammen, was wir an den Fantastischen Vier schätzen: sie haben acht Studioalben aufgenommen, unzählige Aphorismen von bleibendem Unterhaltungs- und Bildungswert ins kollektive Pop-Gedächtnis gemeißelt, sie spielten fünf Konzertalben ein und gaben ein gefeiertes „Heimspiel“ vor 65.000 Zuschauern in Stuttgart. Sie haben das erste Live- Konzert in 3D auf rund 100 Kinoleinwände übertragen, sie sind zu viert, wie alle großen Bands der Pophistorie, und sie sind von Album zu Album besser, interessanter, relevanter und künstlerischer geworden. Die Assimilation dieser Superlative heißt „UNPLUGGED II.“.

Die Herausforderung, den „UNPLUGGED“-Erstling musikalisch zu übertreffen, meisterten die Fantas nach einer Unplugged-Tour und dem „Heimspiel“-Konzert 2009 unterstützt von einem 80-köpfigen Orchester mit bravouröser Souveränität. Eine bessere Location zur Umsetzung von „UNPLUGGED II.“ gab es nicht, als die, in der ihre, der akustischen Musik zugewandten Seelen zwölf Jahre lang nach Erlösung suchten. Frisch frisiert und schön wie vor zwölf Jahren, toppte sich die Band am 25. Juli 2012 selbst. Logisch, dass das Konzert nicht mit „Wiederholung“-, sondern mit „Zugabe“-Rufen beginnt – auch eine Pioniertat. Es sah aus wie beim ersten Mal in der Balver Höhle und doch war nichts wie damals.

Konkret: die Fantas haben ihren musikalischen Wirkungsgrad für ihr zweites, stromloses Dokument erweitert. „MTV UNPLUGGED II.“ steht nicht ausschließlich für filigran-sanfte Streicher-Arrangements, sondern viel mehr als der Stromlos-Erstling für Energie und Kraft. „Populär“, der Jump-Around-Smasher, überrascht als Salsa-Abgehnummer, „Ernten was wir säen“ trägt unüberhörbar Informationen der Led-Zeppelin-DNA. Ein Gospelchor, der Meister der spanischen Gitarre, Rafael Cortés, und die kubanische Bongo- und Conga-Fraktion, bringen buntere Flavors in die Wohnzimmer-Atmosphäre, die die Fantas für „MTV UNPLUGGED II.“ schufen. Dank der Arrangement-Kunst von Lillo Scrimali, dem musikalischen Direktor und Keyboarder ihrer Stammband, zu der in bewehrter Form die Overall tragenden Atomkraftgegner Florian Dauner, Markus Birkle, Roland Peil und Markus Kössler gehören, agieren die Fantas freier, selbstverständlicher, erwärmender als vor zwölf Jahren in der Eiszeit-Höhle. Und manchmal auch der Einfachheit im Schönen, Bewährten zugewandt. „Schuld“ und „Einfach sein“ wurden nicht krampfhaft neu arrangiert, sondern in ihrer ursprünglichen Ästhetik belassen. Apropos Ästhetik. Die Zuschauer des pophistorisch-wertvollen „MTV UNPLUGGED II.“-Konzerts kamen auf Wunsch der Band geschlossen in schwarzer Garderobe, um mit zusätzlich gestellten, weißen Roben als größter Höhlen-Gospelchor „Smudo in Zukunft“ gepriesen zu haben. And.Ypsilon stand am Therapietisch, einer Tischtrommel, und an einem mit Ketten, Münzen und Schrott gefüllten und behangenen Klavier, das ganz besondere Sounds ermöglichte. Ein Gartenschlauch wurde zum Moog-Synthesizer-Substitut. Das berstende Glas am Anfang von „Kaputt“ wird mit Metallplättchen generiert, die Smudo in einem Scherzartikelladen fand – auch ein Testament der wesentlich freiheitlicheren Annährung an den „MTV UNPLUGGED“-Katechismus der Fantas anno 2012. Auf gewohnt unterhaltsamen Niveau. Man darf sich ruhig Gedanken über die Vier machen, die sich vor dem denkwürdigen Konzert reichlich Gedanken über diesen einmaligen Auftritt machten. Die Frage danach, was HipHop im Jahr 2012 sein kann, beantwortet „MTV UNPLUGGED II.“ derweil höchst selbst. Immer der Musik zugewandt.

Die Fantastischen Vier: MTV Unplugged II. ab 26.10.2012 als Musik- CD, DVD, bluray & DVD Box im Handel erhältlich