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MUSIKMARKT im Interview mit Hartmut Engler (Pur): "Wir kümmern uns um unsere Fans" |
Posted by admin (admin) on 10.11.2012 at 09:10 |
MUSIKMARKT im Interview mit Hartmut Engler (Pur): "Wir kümmern uns um unsere Fans"
Hartmut Engler, Frontmann von Pur, traf sich zum Gespräch mit Musikmarkt in München (Foto: gg)
Das neue Pur-Album "Schein & Sein" erscheint am 16. November (Foto: Ben Wolf)
Am 16. November erscheint das neue Pur-Album "Schein & Sein" (Abenteuerland Music/Universal Music). Mit der erste Single-Auskoppelung, "Der bestmögliche Versuch", sind Pur in dieser Woche zweiterfolgreichster Neueinsteiger in den Charts (Rang 33). Aktuell befindet sich die Band eine Woche lang mit 500 Fans auf Zypern im Club Aldiana, unternimmt gemeinsame Ausflüge und gibt am Ende sogar ein Unplugged-Konzert. Wie Pur auf die Idee zu dieser extravaganten Release-Party kamen, erklärt Hartmut Engler im Interview. Doch nicht nur das...
Am 16. November erscheint das neue Pur-Album "Schein & Sein". Sind Sie mit der Produktion komplett durch?
Ja, sind wir. „Schein & Sein“ ist das erste Album, das wir komplett im eigenen Studio produziert haben. Sogar Paul Kramer, der das Mastering gemacht hat, ist aus Berlin zu uns nach Bietigheim gekommen. Früher haben wir unsere Alben noch in Nashville, in London, oder in den belgischen Galaxy Studios mischen lassen. Mit der Computer-Technik, die wir heute haben, ist es allerdings nicht mehr so entscheidend, wie gut das Pult im Studio ist. Unsere Songschreiber und Produzenten Martin Ansel und Ingo Reidl bzw. ich als Co-Produzent haben über die Jahre genügend Erfahrung gesammelt, so dass wir das mittlerweile allein hinbekommen. Ich denke, unser neues Album muss sich hinter keiner Spitzenproduktion aus Amerika verstecken.
Am Produzenten-Team hat sich also nichts verändert?
Im Prinzip nein, außer dass Martin Ansel mittlerweile auch Songs beisteuert und ich als Texter mehr Auswahl zur Verfügung habe. Wir waren bislang in kreativer Hinsicht eher faul, und haben immer nur so viel Songs gemacht wie wir auch wirklich brauchten (lacht). Bei diesem Album hatte ich plötzlich doppelt so viel Songs zur Verfügung wie ich eigentlich betexten musste und konnte auswählen. Das war ein ganz neues Arbeitsgefühl, hat aber gut funktioniert.
Sie haben in einem Song sogar Melodyne verwendet. Das gab es bei Pur bislang auch noch nicht, oder?
Gut hingehört, das fällt nicht jedem auf. Das hat beim Song "Frei" einfach gepasst, auch wenn wir vor fünf Jahren vielleicht noch gesagt hätten: "Kommt nicht in die Tüte." Martin hat den Effekt einfach mal rein gedreht und mich gefragt, wie ich es fände. Im ersten Moment war ich mir noch unsicher, doch schon beim zweiten Mal dachte ich mir:"Das macht schon irgendwie süchtig. Kein Wunder, dass die ganzen Radio-Singles für Kids so produziert sind." Man darf sich dem Neuen ja auch nicht verschließen, wir nutzen alle technischen Möglichkeiten, die man heute hat. Es sind auch Songs auf dem Album, "Stark" zum Beispiel, die nicht mit einem Live-Schlagzeug eingespielt worden sind, weil bestimmte Effekte mit einem Live-Instrument einfach nicht möglich sind.
Wie setzt ihr solche Songs dann live um? Mit DJ?
Nein, live verzichten wir dann einfach auf den Effekt. In unseren Augen muss ein Song genügend Substanz haben, um auch nur mit Klavier, Gitarre und Cajón zu funktionieren.
Wie lange haben die Arbeiten an "Schein & Sein" insgesamt gedauert?
Von den ersten Überlegungen bis jetzt etwa ein Jahr.
Stellt sich bei einer Album-Produktion irgendwann Routine ein?
Nein, du durchlebst schließlich immer andere Phasen. Beim aktuellen Album wusste ich anfangs nur, dass es "Schein & Sein" heißen wird, mehr nicht. Normalerweise hast du zehn Songs und überlegst dir dann, wie die Platte heißen soll – bevorzugt so wie einer der Titel auf dem Album. Im Falle unseres letzten Albums beispielsweise konnten wir uns auf den Titel "Wünsche" einigen. Mit "Schein & Sein" wurden dagegen bereits im Vornherein Denkprozesse in Gang gesetzt, die das Album in eine bestimmte Richtung lenkten. Was ist falsch, was ist echt? Wer spielt uns was vor, wer nicht? Auch unsere Fans fragen sich oft, ob wir wirklich immer noch fünf Freunde sind, die einst als Schülerband angefangen haben, oder ob wir mittlerweile nur eine Rolle spielen. Das ist ein sehr spannendes Thema.
Können Sie verstehen, dass Ihre Fans sich vergewissern wollen, dass Sie authentisch sind?
Ja, auch wenn ich mir solche Fragen nie stelle. Wenn ich Musik höre, muss ich nicht wissen, ob mir der Mensch sympathisch wäre, wenn ich ihn privat kennen würde. Aber die meisten Menschen interessiert das.
Auf Ihrer anstehenden Release-Party haben etwa 500 Fans die Möglichkeit, Sie hautnah kennenzulernen: Eine Woche mit Pur auf Zypern. Woher kam die Idee zu dieser extravaganten Release-Party?
Aus dem Jahr 1998. Damals haben wir so etwas ähnliches schon einmal gemacht: Ein langes Wochenende für Medienpartner in Tunesien. Das hat sehr viel Spaß gemacht, war aber unglaublich anstrengend. Mit dem Club Aldiana auf Zypern, der auch unser Tour-Sponsor ist, arbeiten wir eng zusammen. So kam die Idee, eine ganze Woche mit unseren Fans zu verbringen, inklusive Ausflüge und Pool-Party. Die Medienpartner stoßen dann am Wochenende dazu, dann gibt es auch ein Unplugged-Konzert. Eine Mischung aus Urlaub und Socializing sozusagen (lacht).
Glauben Sie, dass Sie überhaupt Zeit zur Erholung finden werden?
Nein, mit Sicherheit nicht. Mit der Haltung geht auch keiner von uns da hin. Aber ein Stündchen in der Sonne wird schon drin sein.
Wie wichtig ist Ihnen der direkte Fankontakt?
Man darf es nicht übertreiben. Wir waren früher für unsere totale Fan-Nähe bekannt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir auf Tournee nach den Konzerten von der Bühne gesprungen sind und wirklich so lange dort standen, bis jeder, der ein Autogramm wollte, auch eins in Händen hielt. Das funktionierte natürlich nur, bis wir angefangen haben, in Zehntausender-Hallen zu spielen. Dann bekamen nur noch die ein Autogramm, die lange genug vor dem Tourbus ausharrten. Und schon folgten die ersten Bemerkungen, wir seien arrogant geworden. Die jetzige Fan-Aktion auf Zypern ist also auch ein Stück weit eine Image-bildende Maßnahme, die dem Image der Band aber durchaus gerecht wird: Wenn man uns irgendwo anquatscht, nehmen wir uns auch die Zeit. Es ist einfach nicht mehr in dem Umfang möglich wie zu Beginn unserer Karriere. Wir kümmern uns aber nach wie vor so gut wir können um unsere Fans.
Sie haben ohne Plattenfirma angefangen, waren dann bei der Intercord, die von der EMI aufgekauft wurde. Nun hat Universal Music EMI Music gekauft. Sie scheinen die ganzen Veränderungen allerdings wenig berührt zu haben, täuscht das?
Nein, weil sie uns eigentlich auch nicht betroffen haben. Seit 1995/1996 haben wir mit Uli Roth und Live Act Music unser eigenes Management. Wir arbeiten zwar eng mit Universal zusammen, aber auch unsere eigene Plattenfirma Abenteuerland Music kann einiges leisten. Das war in den vergangenen Jahren auch nötig, als innerhalb der Branche immer weniger Leute dieselbe Arbeit leisten mussten und der Service dementsprechend nachließ. Wir machen also vieles selbst, sind aber auf die neue Zusammenarbeit mit Universal Music gespannt. Auch wir haben die rückläufigen Albumverkäufe gespürt, allerdings in vergleichsweise überschaubarem Ausmaß. Mit unserer letzten Platte, "Wünsche", konnten wir den Trend auch wieder umkehren. Doppelplatin-Status hatten wir fast immer, das ist natürlich klasse. Zudem sind auf unserem neuen Album, "Schein & Sein" vier wirklich Single-taugliche Songs. Das gab es bei uns schon lange nicht mehr. Oft hatten wir vielleicht einen Song mit einem durchgängigen Rhythmus, den man mit Glück ins Radio bringen konnte. Die ersten Reaktionen auf das Album auf unserer Homepage sind jedenfalls durchweg positiv, auch alte Fans sind begeistert und sagen, sie hätten seit "Abenteuerland" auf ein solches Pur-Album gewartet.
Haben Sie vor, auch andere Künstler bei Abenteuerland Music unter Vertrag zu nehmen?
Bislang bestehen da keine Ambitionen, weil es einen ganz anderen Apparat in Gang setzen würde. Auf Abenteuerland Music kochen wir unser eigenes Süppchen. Außerdem sitzen wir in Bietigheim und nicht Berlin, wo‘s abgeht und du ständig Talente sichten kannst. Beim Übergang von Intercord zu EMI – als es der Musikbranche noch gut ging – hat man uns zwar angeboten, ein eigenes Label zu starten, dafür hätte man uns auch Geld zur Verfügung gestellt. Nach kurzer Überlegung haben wir uns aber dagegen entschieden.
Pur können noch auf Albumverkäufe zählen. Viele Künstler dagegen nicht. Sie müssen auf neue digitale Geschäftsmodelle vertrauen. Wie beobachten Sie beispielsweise die Entwicklung von Streaming-Diensten?
Ich halte Pauschalbeträge grundsätzlich für schwierig: Wer bekommt wie viel? Die Grundproblematik ist für mich dieselbe wie bei Downloads: Man muss begreifen, dass die Leute arbeiten, um Musik zu machen, und die müssen bezahlt werden. Es gibt nichts umsonst und letztendlich ist Musik eine Ware, die Spaß bereitet. Das ist in den Köpfen leider nicht mehr verankert. Und es dürfte schwierig werden, dieses Denken wieder in den Köpfen zu etablieren. Wir sehen diese ganzen Entwicklungen relativ gelassen, weil es bei uns immer gepasst hat. Aber insgesamt ist das nicht erfreulich. Es muss sichergestellt werden, dass Musiker von ihrer Arbeit leben können, ansonsten gibt es irgendwann nur noch Hobby-Musiker oder die ganz großen Stars. Würde Michael Jackson noch leben und statt weltweit zehn Millionen Alben nur noch drei Millionen verkaufen, weil alle anderen sein Album illegal herunterladen oder streamen, könnte er immer noch davon leben. Es gibt aber auch Acts, die deshalb statt 100.000 Alben nur noch 10.000 verkaufen, und für die bedeutet das, niemals Profi-Musiker werden zu können.
Autor: Gideon Gottfried
Quelle: Musikmarkt - 07.11.2012
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