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Ralph Siegel: „Neuen Künstlern eine Chance geben!“

Posted by admin (admin) on 07.10.2010 at 22:20
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Ralph Siegel: „Neuen Künstlern eine Chance geben!“ 

 


„Die Situation der deutschen Komponisten, Textdichter, Verleger und besonders Interpreten ist mehr als bedenklich und bedrohlich“: Ralph Siegel (Fotos: Archiv) 


 

 

Ralph Siegel komponierte das Siegerlied von Harrogate 

 

 


Ralph Siegel: Der Komponist, Texter, Produzent, Verleger und Chef des Labels Jupiter Records arbeitete mit Künstlern wie Peter Alexander, Udo Jürgens, Rex Gildo, Chris Roberts, Katja Ebstein und Dschinghis Khan. Mit Nicole erreichte er beim „Grand Prix de la Chanson“ 1982 Platz eins mit dem Titel „Ein bisschen Frieden“.


Insgesamt ist er mit über 2000 Titeln als Komponist bei der GEMA registriert. Anlässlich seiner 50-jährigen Laufbahn als Komponist sowie seines 65. Geburtstages am 30. September sprach „Musikmarkt“-Chefredakteur Stefan Zarges mit Ralph Siegel.


Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre erste Single?
„In der Heimat blühn die letzten Rosen” sangen damals Bettina Carsten und das Quartetto Italiano. Ich war ziemlich glücklich, denn ich mochte Bettina sehr gern. Der Gitarrist der Band leider auch und so brannte sie mit ihm durch und ließ ihren Mann Helmut Hertlein einfach sitzen. Helmut heiratete allerdings nach dem Tode meines Vaters meine Mutter und somit war der Produzent dieses Liedes später mein Stiefvater – er schenkte mir damals diese Single zum Geburtstag und das ist 50 Jahre her.


Sie können auf eine lange Karriere blicken, welche Highlights haben Sie am meisten gefreut, welche Niederlagen waren am schmerzhaftesten?
Wenn ich die Highlights in meiner Karriere aufzählen sollte, müssten wir ein eigenes Heft machen, aber natürlich waren die ersten Chartsongs als Komponist in den USA mit „It’s A Long Long Way To Georgia”, gesungen von Don Gibson, und „Einmal verliebt, immer verliebt“ mit Peggy March in Deutschland unvergesslich. Außerdem die ersten Superhits mit Rex Gildo („Fiesta Mexicana“), Peter Alexander („Unser tägliches Brot ist die Liebe“ und „Pedro“) sowie Udo Jürgens („Griechischer Wein“), der große Einstieg als Produzent. Dann die ersten Erfolge meines Labels Jupiter Records mit Chris Roberts „Du kannst nicht immer siebzehn sein“ und der Start der Karriere von Gerhard Polt, die Welterfolge von Silver Convention („Fly Robin Fly“) und Penny McLeans Superhit „Lady Bump“ in Zusammenarbeit mit Michael Kunze und Sylvester Levay. 1974 und 1979 die ersten „Grand Prix“-Erfolge mit Ireen Sheer und Dschinghis Khan, und nach den beiden zweiten Plätzen von „Theater“ und „Johnny Blue“ natürlich der Sieg in Harrogate mit „Ein bisschen Frieden“. Highlights waren auch „Millionseller“ wie „Moskau“, „Le Papa Pinguin“ oder „Together We’re Strong“, außerdem die „Best Of“–CDs von Angela Wiedl, Nicole und Andrea Berg. Die schmerzhaftesten Niederlagen waren die vielen zweiten Plätze bei nationalen und internationalen „Grand Prix“-Entscheidungen und natürlich der 22. Platz von Corinna May, die im Vorfeld wochenlang auf Platz eins gewettet wurde und auch im Internet ganz vorne lag.


Wie beurteilen Sie die Situation des deutschen Schlagers? Gibt es genügend Plattformen für den Nachwuchs?
Die Situation der deutschen Komponisten, Textdichter, Verleger und besonders Interpreten ist mehr als bedenklich und bedrohlich. Ich befürchte, wenn es so weiter geht, wird es bald zu katastrophalen Einbrüchen bei den Einkünften kommen. Hier stehen die GEMA- und GVL-Einnahmen im Vordergrund, die ständig sinken beziehungsweise ins Ausland abgeführt werden. Wenn die privaten Sender und besonders die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten ihre momentane Einstellung zum deutschen Liedgut nicht ändern, wird es in ein paar Jahren keinen brauchbaren Nachwuchs mehr geben. Neuen Talenten muss man genügend Zeit und Platz einräumen, um Erfahrung zu sammeln und einen lehrreichen Weg zu gehen. Hier war die ZDF-„Hitparade“ der größte Steigbügelhalter für alle neuen Interpreten, die heute unsere letzten Stars sind. Wenn dann Sendungen wegen zu geringer Einschaltquote gestrichen werden, kann man davon ausgehen, dass der Nachwuchs noch weniger Chancen bekommt, da die Industrie nicht bereit ist, Künstler zu finanzieren, die keine ausreichende Plattform mehr erhalten. Wir brauchen also dringend wieder mehr Sendungen für neue deutsche Originale im Bereich der Unterhaltungsmusik – sonst sterben die Kreativität und die damit verbundenen Berufszweige eines Tages aus. Gott sei Dank haben die Sender im Osten und an allererster Stelle der MDR eine klügere Einstellung. Herrn Udo Foht sei Dank im Namen aller deutschen Musikschaffenden!


Arbeiten Sie gegenwärtig an neuen Songs?
Selbstverständlich arbeite ich immer wieder an neuen Songs – nur frage ich mich immer öfter für wen? Ich freue mich, dass es Künstler wie Helene Fischer und Semino Rossi geschafft haben große Erfolge zu feiern, aber das sind inzwischen leider Ausnahmen. Und ich hoffe, dass sich auch andere Wege finden werden neue Künstler zu etablieren. Große Freude habe ich, dass sich immer mehr Menschen für das Album „Eternity“ meiner Frau Kriemhild begeistern und am meisten freue ich mich auf unsere neue Broadway-Präsentation im Oktober in New York mit unserem Musical „Clowntown“ – hoffentlich klappt es dieses Mal.


Sie waren skeptisch, was die Chancen von Lena Meyer-Landrut beim „Grand Prix“ betraf. Hat Sie ihr deutlicher Erfolg überrascht?
Nachdem Google bereits eine Woche vorher wusste, dass Lena gewinnt, war wohl keiner mehr so sehr überrascht. Das Mädchen war bezaubernd und hatte die beste und größte Internet-Promotion und -Plattform bei YouTube, MySpace und Facebook aller Zeiten. Eine Celine Dion ist sie nicht, aber auch France Gall hat vor vielen Jahren mit einem Schmollmund und süßem Lächeln gewonnen. Ich habe es ihr gegönnt und mich für sie gefreut. Herzlichen Glückwunsch Lena – allen Beteiligten von Universal, ARD und ProSieben/Brainpool – besonders auch den amerikanisch-dänischen Autoren – und natürlich dem Moderator und Schirmherren der Sendung – Stefan Raab und Thomas Schreiber.


Sie kennen die Branche in- und auswendig, gibt es Entwicklungen, die Sie besonders positiv finden – gibt es Entwicklungen, die Sie besonders nerven?
Die positiven Entwicklungen sind überschaubar. Das Live-Geschäft zum Beispiel hält sich enorm und ausverkaufte Fußballstadien für Künstler wie Mario Barth sind sehr erstaunlich und helfen den wenigen großen Management- und Vertriebsfirmen, Umsatz zu machen und ihre Angestellten noch ein Jahr länger zu behalten. Positiv ist auch, dass ein paar wenige Sender ab und zu doch noch das Gefühl haben, ihrem deutschen Publikum auch ein paar deutsche Künstler zu präsentieren, die dann schwupps in die Charts gehen wie Ich + Ich oder Unheilig oder die „schöne Helene“ bei den Schlagersendern. Aber sonst ist da wenig Gutes zu berichten. Der „Grand Prix der Volksmusik“ wurde abgeschafft, Marianne und Michael sind leider nicht mehr an führender Position, es gibt keine neue „Deutsche Stimmgabel“. Stattdessen wird auf jedem Sender von früh bis spät gebrutzelt und gekocht. Bei den einst so hoffnungsvollen Downloads überwiegt das Cherry-Picking, also ausgewählte Tracks aus teuer produzierten Alben, der Rest wird milliardenfach umsonst heruntergeladen. Nerven ist kein Ausdruck mehr dafür, man kann nur noch den Kopf schütteln, wie sorglos und unfassbar unbedarft manche verantwortliche Damen und Herren in der Medienlandschaft und in der hohen Politik mit den Problemen der deutschen Musikschaffenden und der Musikindustrie umgehen.


Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
An erster Stelle müssen und werden wir uns um kreativen Nachwuchs kümmern und ich will immer wieder neuen Künstlern eine Chance geben: Neue Songwriter fördern und auch gemeinsam mit ihnen neue Projekte entwickeln. Natürlich arbeiten wir an einer neuen CD für meine Frau Kriemhild und neben dem amerikanischen Musical „Clowntown“ sind wir dabei, ein deutsches Musical auf die Beine zu stellen. Die Voraussetzungen sind sehr gut und nun brauche ich nur noch ein bisschen Glück – aber davon hatte ich ja schon soviel in meinem Leben und bin dafür auch jeden Tag dankbar. Meine CD-Box „Ralph Siegel - Lebenswerk eines Komponisten (Teil 1)“ erscheint im Herbst und ich wünsche mir zu meinem 70.Geburtstag Teil 2 zu veröffentlichen – Gesundheit ist halt doch das Wichtigste!

 

Autor: Stefan Zarges
Quelle: Musikmarkt - 29.09.2010

 

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